Die Niederwieskapelle zur heiligen Maria

Eckdaten:
erbaut:                1860/1996
Eigentümer:      Fam. Johann und Adelheid Schober, Niederwiesgut/Karosseriespenglerei, Lengroid 16
Abmessungen: 350x510, Traufenhöhe 280cm, Giebelhöhe 450cm, Fünf-Achtel-Apsis
Patrozinium:      Hl. Maria, „Gottesmutter der Passion“

Aussehen
Die Niederwieskapelle steht unweit des Bauernhofes Niederwies an der Geländekante vor dem Abhang zum Hagenwaldbach. Es handelt sich und eine besonders schöne und liebevoll gepflegte Hofkapelle. Eine Verwandtschaft mit der Hinterroidkapelle lässt sich deutlich erkennen; offensichtlich war sie Vorbild für diese acht Jahre später errichtete Andachtsstätte. Die Niederwieskapelle trägt ein Dachreiter mit einem Pyramidenhelm, darauf einen Kugelknauf und ein wohlproportioniertes Turmkreuz. In dem Türmachen, das eine Höhe von 7,30 Meter erreicht, hängt eine Bronzeglocke. Der Grundriss der Kapelle ist ein Rechteck mit einer angeführten trapezförmigen Fünf-Achtel-Apsis. Das Satteldachmit seinem Walmabschluss im Westen und die Dachreiterspitze sind in Kupfer ausgeführt, ebenso die Dachrinnen. Die Tür hat einen Segmentbogen, einen Profilputzrahmen und ein Schmiedeisengitter. Im Fassadengiebel sind ein Auge Gottes im stuckierten Dreiecksrahmen und die Aufschrift „Niederwies Kapelle“ gemalt. Die Pfettenbretter tragen die Jahreszahl 1996.

Innen
Im Innern zeigt die Architektur ein Tonnengewölbe mit einem Gesimsabschluss. Der formschöne barockisierende Altar wird von vier schlanken Säulen, jeweils mit einem korinthischen Kapitell, geprägt. Im Volutenauszug kann man das Bild der Heiligsten Dreifaltigkeit bewundern; originell ist es, wie hier der Künstler fünf Engelchen, die sich um die Hauptpersonen tummeln, dargestellt hat. Die ganze Aufmerksamkeit verdient aber das wertvolle Gnadenbild „Heilige Maria von der immerwährenden Hilfe“, die Ikone „Gottesmutter der Passion“ im Zentrum des Altaraufbaus.
Die Darstellung der Strastnaja geht auf die Frühzeit der Christianisierung der Ostvölker im 10. Jahrhundert zurück. Die flächenhaft gemalten Gestalten der heiligen Maria und des Jesuskindes heben sich vom goldenen Hintergrund ab. Die beiden Engel links und rechts vom Kopf der Mutter tragen die Leidenswerkzeuge Jesu. Damit stellt der Künstler den Zusammenhang zwischen Krippe und Kreuz, zwischen Geburt und dem Leidenstod Jesu her.
Die Ikone zeigt die Mutter Gottes, die in ihren Händen das Jesuskind hält, das, erschrocken über die von den Erzengeln Michael und Gabriel präsentierten Leidenswerkzeuge seiner künftigen Passion, an ihrer Hand festhält. Maria drückt Jesus an ihr Herz, er schmiegt sich an sie. Der Goldgrund des Bildes und die Art, wie die Engel die Leidenswerkzeuge präsentieren, weisen aber auch hin auf den Triumph Christi über Leiden und Tod. Der Mittelpunkt des Bildes ist da, wo sich die Hand der Mutter mit den Händen des Kindes berührt. Es verwundert, wie eine Ikone, ein Holztafelbild der byzantinischen Kunst, der Ostkirche, in die Niederwieskapelle gekommen ist. Eine Besonderheit ist auch, dass es hier 14 Kreuzwegstationen gibt, kolorierte Stiche, signiert mit „G.J. Manz, Regensburg“.
Die geräumige Kapelle besitzt ein Gestühl mit 16 Sitzplätzen. Vorbildlich ist, dass die Niederwieskapelle mit elektrischem Licht und einer Alarmanlage ausgerüstet ist.

Chronik
Die Niederwieskapelle wurde im Jahr 1860 erbaut. Ausschlaggebend war folgende Begebenheit: Zwei Frauen, eine davon war Katharina Plainer, die damalige Besitzerin des Anwesens Niederwies, hatten einen hohen Geldbetrag gefunden.  Wochen vergingen, der Verlustträger wurde nicht ausfindig gemacht, und die Niederwiesbäuerin behielt den Geldbetrag für sich. Der Nachbarin, die vom Fund wusste, erzählte sie, dass sie das Geld längst abgeliefert hätte. Katharina Plainer plagte aber das schlechte Gewissen, und sie litt furchtbar seelische Qualen. Da erfasste sie die Reue, und es kam ihr eines Nachts der Gedanke, den Betrag für die Errichtung einer Kapelle zu verwenden.
Der Plan wurde rasch verwirklicht, das Gewissen der Bäuerin war beruhigt, hoffentlich auch ihre Sünde von einem gnädigen Richter verziehen, und die hügelige Flyschlandschaft erfuhr eine wahre Bereicherung. Für die Bevölkerung in Lengroid bestand fortan die Gelegenheit, zum Gebet diese Kapelle aufzusuchen. Jahrzehntelang wurden hier im Marienmonat Mai Tag für Tag Maiandacht gehalten, das Rosenkranzgebet und die Lauretanische Litanei gemeinsam gebetet, „Meerstern, ich dich grüße“ oder „Maria zu liebes ist allzeit mein sinn“ wurden gesungen, und oft war die Kapelle mit Erwachsenen und Kindern überfüllt.
Als die Kapelle ein Altar von 130 Jahren erreicht hatte, war sie höchst renovierungsbedürftig. Da entschlossen sich Hans und Heidi Schober, die jungen Besitzer der Liegenschaft, eine gründliche Restaurierung vorzunehmen. Bei einer Begutachtung stellte sich heraus, dass sich das Mauerwerk in einem äußerst schlechten Zustand befand und ein Neubau zweckmäßiger sei.
Die Freiwillige Feuerwehr Pfongau half tatkräftig mit, die Marktgemeinde Neumarkt förderte die Initiative ebenso wie die heimischen Geldinstitute. Über 700 unentgeltliche Arbeitsstunden ließen die Kapelle zu einem kleinen Juwel werden. Die Restaurierung des Altars mit der wertvollen Ikone erfolgte durch den akademischen Restaurator Arnulf Meierhofer aus Salzburg.
Am 15. August 1996 nahm Pfarrer Franz Königsberger die Segnung vor; die Pfongauer Feuerwehr veranstaltete zu diesem Ereignis eine Sternwanderung, und die Feier wurde von der Trachtenmusikkapelle Neumarkt festlich und fröhlich gestaltet.

Es ist erfreulich, dass die Niederwieskapelle gerettet wurde und heute als schmucke Kapelle dasteht, Gott zur Ehre und den Menschen zur Freude.

Quelle: Raststätte. Auf dem Weg mit Christus (2009). Eigenverlag des PGR Neumarkt am Wallersee